John Holloway: Von Verzweiflung und Hoffnung

Langfassung des Textes aus der Dazwischengehen | Mai 2012
Dazwischengehen Mai 2012
Dazwischengehen | Mai 2012

An all die aus der Reihe Tanzenden dieser Welt, an uns alle, die wir uns nicht mit dem Ende der Menschheit zufriedengeben:

Mehr denn je schaut die Welt gleichzeitig in zwei Richtungen.

Ein Gesicht schaut in eine dunkle, Depressionen erzeugende Welt. Eine Welt sich schließender Türen. Eine Welt, in der Leben, Möglichkeiten, Hoffnungen genommen werden. Es sind Zeiten, in denen gekürzt wird. Du musst lernen, mit der Realität fertig zu werden. Du musst gehorchen, wenn Du überleben möchtest, Deine Träume aufgeben. Erwarte nicht, dass Du von dem was Dir Spaß macht, leben kannst. Du kannst Dich bereits glücklich zählen, wenn Du überhaupt einen Job hast. Vielleicht kannst Du studieren, aber nur, wenn Deine Eltern Geld haben. Und selbst dann: Glaube ja nicht, dass Du etwas Kritisches studieren kannst. Die Kritik ist aus den Universitäten geflohen und es ist auch besser so. Warum sollen wir Kritik üben, wenn wir alle wissen, dass die Bahnen, in denen die Welt läuft, festgelegt sind? Es gibt keine Alternative, nur die Wirklichkeit der Herrschaft des Geldes, vergiss also Deine Träume. Gehorche, arbeite hart, ganz gleich, welche Art von Schrottjob Du kriegt. Anderenfalls wirst Du Mülleimer durchsuchen dürfen, denn es wird keinen Wohlfahrtsstaat geben, der Dich schützt. Schau, schau auf Griechenland und sei gewarnt! Diese Verarmung erwartet Dich, das wird Dir passieren, wenn Du Dich nicht unterordnest, dies ist die Strafe, die in dieser Schule des Lebens an ungezogene Kinder erteilt wird, an diejenigen, die sich zu viele Hoffnungen machen, diejenigen, die zu viel wollen.

Dimitris Christoulas, ein 77 Jahre alter Apotheker, der sich vor nur wenigen Wochen auf dem Syntagma-Platz erschoss, hatte diese Lektion der Verzweiflung gut, zu gut gelernt. Durch die von den europäischen Regierungen erzwungenen Ausgabenkürzungen, erhielt er keine Rente mehr und sagte: »Ich sehe keine andere Lösung, als meinem Leben ein Ende zu setzen, bevor ich gezwungen bin, Mülltonnen auf der Suche nach Essen zu durchwühlen.«

Dies bedeuten die Kürzungen. Dies ist das, was die Regierungen Europas und der Welt gegenüber den Menschen durchzusetzen suchen – alle Regierungen, alle sind sie Diener des Geldes, gleich ob sie scheinbar aus einer Machtposition heraus sprechen, wie die deutsche Regierung oder ob sie einfache Befehlsvollstrecker des internationalen Bankensystems sind, wie Papademos in Griechenland oder Monti in Italien. Die Ausgabenkürzungen führen nicht nur zu Armut, sie stutzen die Flügel der Hoffnung.

In diese Richtung bewegt sich die Welt, aber ist dies alles, was es gibt? Gibt es keine Möglichkeit, wie wir die Welt umkehren lassen können? Hat die Welt kein anderes Gesicht, eins, das in eine andere Richtung schaut?

Der Tod von Dimitris Christoulas zeigt in zwei Richtungen: Es ist Verzweiflung, aber auch eine Weigerung, die Verzweiflung hinzunehmen. In seiner Selbstmordnachricht schreibt er: »Ich glaube, dass die jungen Leute ohne Hoffnung eines Tages die Waffen ergreifen werden und die Verräter dieses Landes an den Füßen aufhängen werden, ganz so, wie die Italiener Mussolini 1945 aufgehängt haben.« Hoffnung leuchtet in den Tiefen der Verzweiflung selbst.

Die Grundlage dieser Hoffnung ist ein einfaches Nein. Nein, wir werden nicht hinnehmen. Nein, wir werden nicht hinnehmen, was ihr mit uns zu tun versucht. Nein, wir werden Eure Kürzungen nicht hinnehmen. Nein, wir werden uns nicht der Disziplin des Geldes unterwerfen, nein, wir werden das Töten der Hoffnung nicht hinnehmen. Nein, wir werden die obszönen Ungleichheiten der Welt, in der wir leben, nicht hinnehmen, nein, wir werden keine Gesellschaft hinnehmen, die uns selbst in Richtung unserer eigenen Zerstörung schleudert. Und nein, wir werden keine Alternativen vorschlagen. Wir wollen Eure Probleme nicht lösen, denn die einzigen Lösungen für die Probleme des Kapitals sind unsere Niederlage, die Zukunft des Kapitalismus ist der Tod der Menschheit. Selbst wenn das Kapital diese Krise löst, wird die nächste, noch zerstörerische, nicht lange auf sich warten lassen. Wir werden Euch nicht gehorchen, Politiker-BankerInnen, weil ihr die tote Vergangenheit seid, während wir die mögliche Zukunft sind. Die einzig mögliche Zukunft.

Dies ist unsere Hoffnung: Wir sind die einzig mögliche Zukunft. Aber unsere mögliche Zukunft ist nicht mehr denn eine Möglichkeit. Um sie zu verwirklichen, müssen wir in der Lage sein, den Weg der Welt neu auszurichten.

Wie können wir den Weg der Welt neu ausrichten? Dimitris Christoulas spricht davon, dass junge Leute die Waffen ergreifen und die PolitikerInnen an den Laternen aufgeknüpft werden sollen. Diese Vorstellung wird mit jedem Tag attraktiver und die PolitikerInnen dieser Welt wissen, dass es nicht nur eine Phantasie ist: deshalb haben sie in Griechenland Angst, auf die Straße zu gehen, deshalb erhält die Polizei in allen Ländern der Welt mehr Waffen und Macht. Aber, wie attraktiv die Idee auch immer sein mag: mit Waffen werden wir den Weg der Welt nicht neu ausrichten und etwas Neues erschaffen können. Unser Zorn ist anders geartet.

Zorn und Liebe. Verweigere und erschaffe. Dies ist die einzige Möglichkeit, mit der wir die Welt neu ausrichten können. Die Liebe geht Hand in Hand mit dem Zorn, das Erschaffen entspringt der Verweigerung. Wir sind die Wut einer neuen Welt, die durch die verfaulte Obszönität der alten stößt. Unsere Wut ist nicht die Wut der Waffen – Pistolen sind ihre Waffe, nicht unsere. Unsere Wut ist die Wut der Verweigerung, der unterdrückten Kreativität, der Empörung. Wer sind diese Menschen, diese PolitikerInnen und BankerInnen, die denken, uns wie Objekte behandeln und die Welt zerstören zu können, mit einem Lächeln auf den Lippen? Sie sind nichts anderes als Diener des Geldes, die ekelhaften und brutalen VerteidigerInnen eines sterbenden Systems. Wie können sie es wagen, uns unser Leben zu stehlen, wie können sie es wagen, uns so zu behandeln? Wir weigern uns.

Unser brüllendes NEIN findet Widerhall in der Welt, aber unsere Weigerung bedeutet kaum etwas, wenn sie nicht von alternativem Erschaffen begleitet ist. Unser Nein zur alten Welt wird keinen Bestand haben, wenn wir nicht jetzt und hier eine neue Welt erschaffen. Die Wut unserer Weigerung läuft in neues Erschaffen über. Die repräsentative Demokratie hat versagt und wir erschaffen eine wirkliche Demokratie auf unseren Plätzen, unseren Treffen, unseren Protesten. Das Kapital ist unfähig, die Grundlagen des Lebens sicherzustellen und wir bauen Netzwerke gegenseitiger Unterstützung auf. Das Geld zerstört und wir sagen: »Nein, wir werden eine andere Logik und eine andere Form des Zusammenkommens erschaffen.« Und so verkünden wir, dass »Kein Haushalt ohne Strom« sein darf und stellen die Stromversorgung wieder her, wenn diese abgestellt wurde. Schuldeneintreiber kommen, um unsere Häuser zu pfänden und wir organisieren Massenproteste, um sie aufzuhalten. Menschen sind hungrig und wir erschaffen Community-Gärten. Der Drang nach Profit massakriert menschliches und nicht-menschliches Leben und wir erschaffen neue Beziehungen, neue Formen Sachen zu tun. Das Kapital fegt uns von den Straßen und Plätzen und wir besetzen sie.

All dies ist unzureichend, all dies ist experimentell, aber in diese Richtung muss es gehen, dies ist das andere Gesicht der gegenwärtigen Welt, dies ist der Geburtskampf einer neuen Welt gegenseitiger Anerkennung. Vielleicht können wir noch nicht die Welt so verändern, wie wir sie haben wollen, aber wir können sie erschaffen und wir erschaffen sie hier und hier und hier und jetzt, wir erschaffen Risse im System und diese Risse werden wachsen und sich ausbreiten und vervielfältigen und zusammenfließen. Wir werden nicht zulassen, dass die Nacht über die Menschheit hereinbricht. Wir können und werden dem Einhalt gebieten, wir werden die Welt neu ausrichten.