Nach dem gescheiterten NPD-Verbot bleibt der Kampf gegen den Faschismus eine gesellschaftliche Aufgabe. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat auf Grundlage der mündlichen Verhandlung vom März letzten Jahres seinen Urteilsspruch verkündet:
Kein Verbot der NPD wegen fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele.
Aus der Pressemitteilung des BverfG zum Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13: An der Verfassungsfeindlichkeit der NPD und ihrer Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus könne – so die Verfassungsrichter - zwar kein Zweifel bestehen. "Es fehlt aber derzeit an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass ihr Handeln zum Erfolg führt." Die NPD habe wenig Chancen, bei einer Parlamentswahl die Mehrheit zu erringen oder mit einer anderen Partei eine Regierungskoalition zu bilden. Nach dieser Logik dürfte ein Verbot der NPD nur kurz vor der möglichen Machtübernahme erfolgen – was es dann noch bewirken würde, bleibt schleierhaft. Beim zuletzt ausgesprochenen Parteiverbot gegen die KPD 1956 hieß es vom Bundesverfassungsgericht noch explizit, das Parteiverbot sei auch dann zwingend, "wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, daß sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können." Diese abweichende Entscheidung begründet das Gericht mit der lapidaren Aussage, dass der Senat an der alten Entscheidung nicht fest halte. Verglichen mit der NPD wollte die KPD auch die Besitz- und Einkommensverhältnisse radikal ändern, was das bürgerliche System natürlich stärker in Bedrängnis gebracht hätte, als es der mordende Nazimob derzeit tut.
Zugleich legte das Gericht heute dem „verfassungsgebenden Gesetzgeber andere Reaktionsmöglichkeiten nahe“, die auch andere unliebsame Parteien bedrohen könnten, so etwa den Entzug der Parteienfinanzierung.
Der lange Weg zum NPD-Verbotsverfahren
Ein 2001 von den obersten Verfassungsorganen Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung beantragtes Verfahren wurde 2003 vom Bundesverfassungsgericht nicht eröffnet, da offenbar zahlreiche Verbindungspersonen (V-Leute) diverser Inlandsgeheimdienste (vor allem Bundesamt und verschiedene Landesämter für Verfassungsschutz) aktiv waren und eine mangelnde „Staatsferne“ der NPD bescheinigt wurde. Besagte Staatsferne schließt aus, dass V-Leute und damit staatliche Stellen Einfluss auf die Ausgestaltung der Politik der NPD nehmen.
Parteiintern schreckte das drohende Verbot nationalkonservative Parteigänger ab, während die „radikaleren“ Kräfte der Führungsmannschaft der NPD „Anpassung an das System“ vorwarfen. Im Laufe des Verfahrens büßte die NPD gut 1.500 Mitglieder ein, also fast ein Viertel ihrer ursprünglichen Stärke. Das Scheitern des Verbotsverfahrens befeuerte aber bald die Radikalisierung der NPD, denn die Partei fühlte sich unverbietbar und verstärkte den Schulterschluss mit den militanten Freien Kameradschaften. In einem Positionspapier zum „Deutschen Weg“ bekannte sich die NPD zum Ziel der Systemüberwindung.
Die Debatte um das Verbot wurde erneut belebt, als sich Anfang der 2000er Jahre rassistische Übergriffe häuften und als im November 2011 die zufällige Enttarnung der neonazistischen Terrorgruppe unter dem Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“, die über Jahre hinweg Morde an Gewerbetreibenden vermeintlich ausländischer Herkunft begangen hatte, für Zugzwang sorgte. Obgleich keine direkte Verbindung zur NPD dargelegt werden kann, bewegten sich doch die Täter, ihre Helfer, Unterstützer und Sympathisanten im engsten Umfeld dieser Partei, waren teils gar deren Mitglieder oder Funktionäre.
In seiner Sitzung am 14. Dezember 2012 beschloss der Bundesrat, einen neuen Anlauf für ein Verbot der NPD zu nehmen. Anders als noch beim ersten Verbotsantrag 2001 schlossen sich Bundestag und Bundesregierung dem Antrag nicht an. Seitdem hat die 264 Seiten starke Antragsschrift zur Eröffnung des Verfahrens, zahlreichen Beweisdokumenten und einer dreitägigen mündlichen Verhandlung vom 1. bis 3. März 2016 geführt.
Logik staatlicher Organisationsverbote
Ob ein Parteiverbotsverfahren vor dem BVerfG angestrengt wird, liegt zunächst im Ermessen eines oder mehrerer der antragsberechtigten Verfassungsorgane. Damit wird ein Vereins-oder Parteiverbot immer zu einer politischen Entscheidung. Ausschlaggebend für Verbote extrem rechter Organisationen war in der Vergangenheit nicht notwendigerweise eine konkrete bzw. substanzielle Gefährdung der Demokratie, sondern vielmehr meist eine erhebliche negative Aufmerksamkeit der deutschen und internationalen Öffentlichkeit. (Bspw. NSU-Prozess) Wo der durch Öffentlichkeit erzeugte Handlungsdruck nicht bestand, konnten Gruppierungen, für die Voraussetzungen zum Verbot durchaus vorlagen, zumeist legal weiter bestehen. Auch daraus lässt sich erkennen, dass ein Automatismus der Verfolgung rechtsradikaler Organisationen nie bestanden hat.
Organisations- und Parteiverbote gegen faschistische Parteien lieferten in der Vergangenheit oft juristisches Instrumentarium und Argumentationsmuster, um auch gegen linke und fortschrittliche Organisationen vorzugehen.
Zunächst ist festzuhalten, dass das entscheidende Verbotskriterium in Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes verankert ist. Es legt fest, dass die Partei eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung an den Tag legen muss. Sie muss nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sein, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen und sogar zu beseitigen. Die tatsächliche Gefahr die von der Neonazipartei ausgeht, muss im Verhältnis zu dem Eingriff in ihre Freiheitsrechte stehen. Im Unterschied zu einem Verein reicht es für das Verbot einer Partei nicht aus, dass diese verfassungsfeindlich ist. Es muss vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen. Die NPD wird den Urteilsspruch aus Karlsruhe natürlich als Feststellung ihrer Verfassungstreue deuten und – nachdem ihre Tätigkeit nunmehr staatlich abgesegnet ist – an Attraktivität gewinnen.
Um konsequent die Handlungsmöglichkeiten von Alt- und Neonazis zu beschneiden, müsste nach dem § 139 GG, der ein Verbot aller faschistischen Nachfolgeorganisationen vorsieht, beschieden werden. Die Entnazifizierungsgesetze des Alliierten Kontrollrates verbot bereits 1945 deren Gründung und diese Gesetze sind immer noch in Kraft. Gleichzeitig würde ein solches konsequent antifaschistisches Verbot der Partei mit der obskuren Argumentation der Extremismustheorie brechen, nach der die extremen Ränder (rechts wie links) die demokratisch verfasste bürgerliche Mitte bedrohen.
Folgen des NPD-Parteiverbots – Selbstorganisierter Antifaschismus statt Appelle an den bürgerlichen Staat
Klar ist: Das Verbot hätte nicht dazu geführt, dass der rechte Sumpf trocken gelegt wird. Wenngleich der Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung der wichtigsten faschistischen Partei in Deutschland einen herben Schlag finanzieller Art bedeuten würde (2015: 1,3 Mio Euro). Des Weiteren hätte das bedeutet: Keine Mitgliedereinnahmen (2016: ca. 5.900 Mitglieder), keine Propaganda im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen sowie der Verlust der Parlamentsmandate.
Der Bedeutungsgrad der NPD darf nicht ausschließlich auf das Potenzial der Wählerstimmen reduziert werden. Zwar ist die Partei nach ihren zahlreichen Skandalen und finanziellen Eskapaden in keinem Landtag mehr vertreten. Dennoch schafft sie es – wenn auch regional unterschiedlich erfolgreich - im öffentlichen Raum das politische Klima maßgeblich zu beeinflussen. Proteste gegen die Unterbringung von Asylsuchenden unter dem Label „Nein zum Heim“ sind maßgeblich von der NPD oder ehemaligen Parteimitgliedern federführend organisiert. Bürgerschaftliches Engagement in Stadtteilarbeit und Sportvereinen verschafft der NPD Verankerung in vor allem strukturschwachen Gebieten.
Längst sind die rassistischen und völkischen Diskurse der NPD in die AfD abgewandert, die fast flächendeckend zweistellige Wahlergebnisse erzielt und allabendlich als
gleichberechtigter Diskussionspartner an Fernsehtalkshows teilnimmt. Nicht zuletzt der Erfolg der AfD zeigt, wie hilflos der Ruf nach dem Eingreifen des Staates im Kampf gegen den Faschismus ist. Durch die Legitimierung der NPD hat der ungeschönte rassistische, antifeministische, völkische und antisemitische Diskurs für die Zukunft eine weitere gewichtige Stütze bekommen.
Doch ein alleiniger Blick auf die Verbotsbestrebungen und parteiinternen Zersetzungsprozess der Neonazipartei ließe den Fokus auf die Frage nach dem Rassismus, der der Mitte der Gesellschaft entspringt, verblassen. Betrachtet man Parteiprogrammpunkte der NPD aus den 70er-Jahren, so werden diese mittlerweile von der bürgerlichen Koalition aus CDU/CSU und SPD umgesetzt. Rechtsradikale und rechtspopulistische Stimmungen wirken unmittelbar durch die bürgerliche Mitte in die Gesellschaft hinein und verschieben den Diskurs stark nach rechts.
Vom bürgerlichen Staat ist im Kampf gegen Rechts indes nichts anderes zu erwarten. Es sind die Politiker der bürgerlichen Parteien, die mit ihren rassistischen Hetzkampagnen gegen “Ausländerkriminalität” den Boden für faschistische Gruppierungen bereiten. Es ist die Polizei, die regelmäßig Nazikundgebungen schützt und antifaschistischen Proteste angreift. Es ist die Justiz, die Antifaschist*innen zu Geld- und Haftstrafen verurteilt. Es ist dieser Staat, der mit der Abschiebung von Flüchtlingen und Migrant*innen der Naziforderung “Ausländer raus” nachkommt. Es ist der Inlandsgeheimdienst mit dem irreführenden Namen 'Verfassungsschutz', der seine Verstrickung mit der Naziszene immer wieder dazu nutzt, aktiv rechte Politik zu betreiben. All dies geschieht in einer sich weiter spaltenden kapitalistischen Gesellschaft, die nicht merken will, dass der Ruf nach mehr Sicherheit alles andere meint als soziale, gesellschaftliche Sicherheit und nur dazu dient, erkämpfte Positionen bürgerlicher Freiheit zu schleifen. Wir werden im Kampf gegen den Faschismus, der heute so aktuell ist wie noch nie nach der militärischen Niederlage des Nationalsozialismus, nicht auf Polizei, Gerichte oder andere staatliche Institutionen vertrauen. Der Kampf gegen Rassismus, völkische Hetze, Antisemitismus, Nationalismus und Obrigkeitsstaat bleibt eine gesellschaftliche Aufgabe. Er findet nicht nur in Parlamenten statt, sondern auf der Straße, im öffentlichen Diskurs und in all unseren Kämpfen gegen soziale Ungleichheit und Unterdrückung. “Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen.” (Horkheimer).
Wie kann Faschismus und Rassismus juristisch bekämpft werden? Durch gleiche Rechte für alle. Denn wesentliche demokratische Freiheitsrechte gelten in Deutschland gemäß Grundgesetz nur für Deutsche. Der strukturelle staatliche Rassismus wie z.B. Residenzpflicht, eingeschränkter Zugang zu Erwerbsarbeit, Mietwohnungen, Bildung oder Gesundheitsversorgung, privilegiert deutsche Staatsangehörige. Solange diese gesetzlichen Regelungen gelten, kann der NPD-Parole „Deutsche Arbeit zuerst für Deutsche“ faktisch keine juristische Instanz Abhilfe schaffen. Der Kampf gegen Neonazis und faschistische Parteien ist also immer auch der Kampf gegen Klassenspaltung, Ausbeutung und für eine solidarisch verfasste Gesellschaft. Er besteht darin gleiche Rechte und Teilhabe für alle in Deutschland zu fordern und durchzusetzen, egal ob an der Theke, im Laden um die Ecke, in der Bahn oder im Betrieb.