Mietenwahnsinn, Verdrängung und immer neue Luxuswohnungen – was lange das Problem einiger weniger Metropolen war, ist mittlerweile allgegenwärtig. Im Anschluss an die Finanz- und Wirtschaftskrise sind Immobilien als »Betongold« zum Rettungsanker für den finanzmarktdominierten Kapitalismus geworden. Seither walzen Finanzkonzerne auf der Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten durch unsere Städte. Für Menschen ohne hohes Einkommen oder dickes Erbe ist das Recht auf Stadt, das Recht, dort zu wohnen, wo man möchte, akut in Gefahr – oder bereits Geschichte. Die Innenstädte drohen zu Inseln der Reichen zu werden, zur kapitalistischen Dystopie: teuer, steril und tot.
Doch diese Entwicklung bleibt nicht unwidersprochen. In den rund 10 Jahren ihres Bestehens hat die Recht auf Stadt-Bewegung viel von sich reden gemacht – mit einer solidarischen Praxis, fundierten Positionen und kreativen Protestformen. Trotzdem machen Investor*innen und Wohnungsunternehmen weiter Milliardenprofite. Es ist nicht gelungen, die Macht des Immobilienkapitals wirksam anzugreifen und die herrschende, neoliberale Wohnungspolitik entscheidend herauszufordern. Bis jetzt …
Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst der EnteignungSeit Frühjahr 2018 beginnt sich der Wind zu drehen. Bei Demonstrationen und Aktionstagen sind bundesweit zehntausende Menschen gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung auf die Straße gegangen. Sie haben eine Ahnung von der Energie und Dynamik vermittelt, die eine breite Mieter*innenbewegung entfachen könnte. Spätestens seit dem Start der Berliner Initiative »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen« sind Investor*innen und Aktionär*innen verunsichert. Plötzlich diskutieren alle über Enteignung. Die herrschende Politik bemüht sich darum, Handlungsfähigkeit zu beweisen und bringt vereinzelt relativ weitreichende Maßnahmen wie in Berlin den Mietendeckel auf den Weg. Währenddessen warnt die Immobilienwirtschaft in Talkshows und Anzeigenkampagnen vor DDR und Kommunismus. Und die Aktienkurse großer Wohnungsunternehmen fallen.
Da ist einiges in Bewegung geraten, was vor wenigen Jahren noch undenkbar schien. Grund genug, dran zu bleiben, und den Druck weiter zu erhöhen. Denn die empörten Reaktionen der Immobilienwirtschaft zeigen deutlich: Die Eigentumsfrage und die (Un-)Möglichkeit, die bereits einkalkulierten Profite mit der Miete auch tatsächlich zu realisieren, berühren das Geschäft mit dem Betongold in seinem Kern. Höchste Zeit also, genau hier weiterzubohren und der Verwertungslogik und -praxis Sand ins Getriebe zu streuen.In dieser Broschüre schlagen wir daher vor, die Forderung nach Zurückdrängung und Enteignung von Immobilieninvestor*innen sowie die Forderung nach Vergesellschaftung und Demokratisierung von Wohnraum über Berlin hinaus zu stellen. Angesichts der Größe der Aufgabe ist es aber gleichzeitig notwendig, in konkreten Kämpfen vor Ort schon jetzt die Verwertungsbedingungen für gewinnorientierte Investor*innen zu untergraben und uns als Mieter*innen zu organisieren. Und schließlich eröffnen die aktuellen Zuspitzungen in der Auseinandersetzung die Möglichkeit, als Bewegung – über die bestehenden Unterschiede und Ungleichzeitigkeiten hinweg – stärker als bisher überregional handlungs- und sprechfähig zu werden. Diese Chance sollten wir nutzen, damit wir der organisierten Macht des Immobilienkapitals dauerhaft etwas entgegensetzen können. Letzteres hat dabei viel zu verlieren. Wir jedoch haben eine Stadt der Vielen und der Vielfalt zu gewinnen, wenn wir gemeinsam unseren Wohnraum öffentlich und demokratisch gestalten.
Der erste Teil der Broschüre soll dazu einladen, gemeinsam über die strategischen Perspektiven der Mieter*innen- und Recht auf Stadt-Bewegung zu diskutieren. Im zweiten Teil möchten wir anhand konkreter Beispiele aus der lokalen Praxis aufzeigen, wie wir dem Ziel, Investor*innen zu verdrängen und Wohnraum zu vergesellschaften, Stück für Stück näher kommen können. Beide Teile bauen auf den unterschiedlichen, zum Teil auch widersprüchlichen Erfahrungen auf, die wir in den letzten Jahren in den verschiedenen Städten gemacht haben, in denen wir als Interventionistische Linke (IL) im Feld Mieten und Wohnen bzw. Recht auf Stadt aktiv sind. Mit unserer programmatischen Ausrichtung auf die Perspektive der Enteignung und Vergesellschaftung knüpfen wir zudem an die IL-Vergesellschaftungsbroschüre und das darin enthaltene Kapitel »Besetzen! Bewohnen! Vergesellschaften! Für eine antikapitalistische Wohnungspolitik von unten« (2012) sowie an die Broschüre »Das Rote Berlin. Strategien für eine sozialistische Stadt« der Stadt AG der IL Berlin (2018) an. Wir wünschen eine anregende Lektüre!
Die gedruckte Fassung bekommt ihr bei euer lokalen IL-Gruppe!